Ich werde ihnen nie wieder über den Kopf streicheln, ich werde nie wieder meine Arbeit im Stall unterbrechen, weil mich Dojans stolze und trotzdem treue Augen unverwandt anblicken oder
weil Charlys Übermut mich zum Lachen bringt. Sie werden nur noch auf unserer Homepage weiterleben - und in unserem Gedächtnis.
Ich habe lange gebraucht, bis ich die Kraft hatte, die traumatischen Erlebnisse des Sommers 2001 in Worte zu fassen. Ich hoffe, dass mir die Niederschrift der Ereignisse hilft, die
maßlose Trauer zu überwinden - und mit einem Stand abzurechnen: den Jägern.
Charly und Dojan sind tot, weil sie ein Jäger erschossen hat.
*
Es ist wahr: Die beiden hatten Freiräume, die sie immer stärker ausnutzten. Auf der einen Seite konnten sie ihre Aufgabe, auf den Hof aufzupassen, nur erfüllen, wenn sie frei umherlaufen
konnten (und die beiden wussten genau, was ihre Aufgabe war und haben uns in mehreren Fällen vor beträchtlichem Schaden bewahrt), auf der anderen Seite lockten direkt angrenzend an unseren Hof die weiten Felder und
der nahe Wald mit seinen herrlichen Gerüchen. In sporadischen Abständen entfernten sie sich vom Hof für eine Nacht, waren am nächsten Tag wieder da und übernahmen ihre Aufgaben, als ob nichts geschehen wäre.
Es ist unsere Schuld, - und wir sind weit davon entfernt sie zu beschönigen - dass wir den Moment nicht erkannten, wo der Jagdtrieb stärker wurde als das Pflichtbewusstsein, den Hof zu
bewachen.
Wir zahlen für dieses Versäumnis mit einem ungeheuren Schmerz.
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Dabei führte uns unsere Sorge in eine völlig falsche Richtung. Ich sorgte mich mehr darum, dass die Hunde auf die Straße laufen und einen Unfall verursachen könnten. In Bisten musste mal
ein Fußballspiel abgebrochen werden, weil Charly im Tor stand und keinen Ball mehr reinließ. Unsinn dieser Art schien uns das eigentliche Problem zu sein.
Dass die beiden Menschen gegenüber absolut harmlos waren, ist Fakt. Wir bekamen im Frühjahr 2001 wohl mal den Anruf eines befreundeten Jägers, dass die Hunde “stöbern” und wir sollten ein
wenig Acht geben, aber das schien zunächst mal die gut gemeinte Mahnung eines freundlichen Zeitgenossen. Kein Wort davon, dass ein Schaden angerichtet worden wäre, kein Wort davon, dass die Hunde selbst in Gefahr
wären erschossen zu werden, vielmehr das Bekenntnis:
Wir Jäger schießen nicht auf Hunde.
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Im nachhinein liefen am Jägerstammtisch nur 100 Meter weit entfernt von unserem Hof in bestem Jägerlatein die unglaublichsten Storys, was die beiden angestellt haben sollten. Noch n`Bier
und nen Klaren - und die beiden haben ganze Elchherden gerissen.
Was nützt mir das ganze Gerede, wenn uns das keiner sagt. Im nachhinein kann viel erzählt werden.
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Der erste Warnschuss im übertragenen Sinn fiel, als wir im Urlaub waren. Bei unserer Rückkehr aus Brasilien wurden wir konfrontiert mit der frohen Botschaft, dass der Förster wütend
mitgeteilt hätte, dass die Hunde ein Reh gerissen hätten. Jetzt war endgültig Schluss. Wir beschlossen schweren Herzens den Bau eines Zwingers. Bis zur Fertigstellung sollten die Hunde in die Futtergänge
gesperrt werden. Die Kinder durften mit ihnen spielen, sollten sie jedoch anschließend wieder einsperren. Eine ganze Zeit lang funktionierte das auch gut. Aber am Freitag Nachmittag, dem 27. Juli 2001, waren die
Hunde wieder verschwunden. “Wer, zum Kuckuck, hat denn die Hunde rausgelassen?” Unsere Kleine guckt betreten unter sich.
Es sollte das letzte Mal sein, dass wir die Hunde gesehen haben.
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Zunächst aber bin ich noch nicht wirklich beunruhigt. Die beiden haben sich in der Regel immer am nächsten Tag eingefunden. Als sie am Sonntagabend immer noch nicht da sind, rede
ich mir ein, dass es diesmal halt ein längerer Ausflug ist - allerdings schon mit einem deutlichen Kloß im Magen. Polizei und Tierheim sind verständigt. Wir bewegen uns nicht vom Telefon weg, weil ein Anruf kommen
könnte - schließlich hat jeder der beiden eine Plakette mit der Telefonnummer am Halsband.
Was bleibt sonst noch zu tun?
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Am Dienstag ist uns klar: Irgendjemand oder irgendetwas hindert die Tiere daran zurückzukommen. An einen Verkehrsunfall glaube ich nicht - das wüsste die Polizei. Auch die
Möglichkeit, dass sie einem Hundefänger in die Hände gefallen und in einem Versuchslabor gelandet sind, schließe ich weitgehend (aber nicht ganz) aus. Aber da bleiben noch andere Alternativen: Jemand könnte die
Tiere eingefangen haben. Sicher nicht zum “Eigenbedarf” (Wer braucht schon mal zufällig zwei Schäferhunde?) Aber ein Geschäft ließe sich mit den beiden Prachtexemplaren schon machen.
Ich studiere also die einschlägigen Verkaufsannoncen und telefoniere mit 4 Anbietern, fahre sogar bis Dudweiler, weil einer annähernd in Frage käme, nur um zu sehen, dass der apathisch da
liegende Hund weit davon entfernt ist, einem der meinen zu gleichen.
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Die Männer im Stall sprechen es unverblümt aus: Die hat ein Jäger erschossen! Ich halte ebenso vehement wie überzeugt dagegen, dass ich das nicht für möglich halte. Wenn ein Jäger
wirklich die Hunde erschossen hätte, hätte er das sicher der Polizei gemeldet, schließlich brauchen die Jäger ja keine gesetzlichen Konsequenzen zu fürchten, wenn sie freilaufende Hunde erschießen. Was die Jäger
oder den Förster betrifft, so rechne ich eher mit einer Anzeige, einer polizeilichen Verfügung oder einer Schadenersatzforderung (wenn sie denn wirklich Schaden angerichtet hätten). Es gibt neben der brutalsten
aller Lösungsmöglichkeiten genügend andere Maßnahmen, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Ich kenne eine Reihe von Jägern, die alle einen integren Eindruck machen und mehrfach betont haben, dass sie nicht auf Hunde schießen. Ich übersehe, dass ein einziger Schweinepriester
ohne diesen unterstellten Anstand im Leib genügt, um diese Argumentation, von der ich wirklich zutiefst überzeugt bin, zu Fall zu bringen.
Die Männer diskutieren nicht weiter und respektieren die Gründe für meine leidenschaftliche Argumentation. Wahrscheinlich denken sie sich ihren Teil.
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Ein Bekannter bringt einen anderen Aspekt ins Gespräch, der den bereits seit Tagen vorhandenen Knoten noch schmerzhafter macht: Wenn die Hunde über die nahe Grenze nach Frankreich
gelaufen sind, dann gnade ihnen Gott. Da fackeln die Behörden nicht lange: Wenn sich innerhalb von 5 Tagen die Besitzer nicht gemeldet haben, dann werden die Tiere getötet. Und da er eine zutiefst üble Meinung von
der Tierliebe unserer Nachbarn hat, glaubt er auch nicht, dass irgendwelche Telefonnummern an Halsbändern interessieren.
Jetzt habe ich es sehr eilig. Mit dem Gefühl vor Augen, dass dies ein Wettlauf mit der Zeit sein könnte, fahre ich über die Grenze und klappere die Gendarmerien und Tierheime ab. Da ich
ortsunkundig bin, gehen zwei ganze Tage drauf.
Fehlanzeige!
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Allmählich machen sich die Auswirkungen der nervlichen Belastung bemerkbar: die schlaflosen Nächte, die stete Hellhörigkeit, wenn irgendwo ein Hund bellt, der körperliche Schmerz, wenn
ich das Tor aufschließe und in den hundeleeren Hof komme, wo vorher immer diese herrliche Begrüßungszeremoniell ablief: Winselnd und überglücklich drängten sich die Tiere stets aus dem Tor, genossen unsere
Liebkosung, wie wir uns auch über ihre hündische Treue freuten.
Ich vermisse vor allem Dojan, der sofort an meiner Seite ist, sobald ich die Reiterstube verlasse. Ein Blick aus den bernsteinfarbenen Augen: “Ich bin hier. Brauchst du mich?”, meine Hand
auf seinem Kopf, dann trollt er sich wieder.
Die Stimmung unter den Kindern ist gedrückt. Die überflüssige Frage, ob die Hunde wieder zurück sind, erstirbt angesichts der offensichtlichen Tatsache, dass niemand angeschossen kommt,
um sie zu begrüßen.
Die Kinder vermissen schmerzhaft ihre Spielkameraden. Vor allem unsere Kleinste hat ernsthafte Schwierigkeiten sich mit dem Verlust abzufinden.
Unser Hof, auf dem so viel Spaß und Lachen an der Tagesordnung war, versinkt in Traurigkeit.
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Und noch jemand leidet: meine Eltern. Papa, damals 76jährig, liebt die beiden Racker abgöttisch. Er geht mit ihnen durch die Felder, bürstet sie hingebungsvoll und verwöhnt sie mit
Leckerlis und Rinderknochen. Wenn er sie zwei Tage nicht gesehen hat, ist er krank vor Heimweh.
Mama, auf den Tod erkrankt an einer Lungenfibrose, hängt ebenfalls an ihnen, vorallem an Charly, dem verschmusten und verspielten Übermut. Die Welt ist klein geworden, wenn der
Aktionsradius krankheitsbedingt immer enger wird. Da sind die Hunde einer der ganz wenigen Höhepunkte. Ausgiebig wird die Verwandschaft am Telefon informiert über die vielen Zeichen rührender Hundeliebe.
Seit Monaten schon versuchen wir jede Aufregung von ihr fernzuhalten. Das Verschwinden der geliebten Hundesöhne ist reines Gift für ihren Zustand.
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Die Hunde sind nun schon eine Woche lang weg und wir entschließen uns, eine “Entlaufen”- Anzeige in der Zeitung zu schalten. Auch im Radio gibt es eine Sendung über vermisste Tiere, die
wir kontaktieren.
Die Schule hat wieder angefangen und ich bin vormittags nicht mehr erreichbar. Also gebe ich die Telefonnummer meiner Eltern an. Ich ahne, dass dieser Schritt nicht glücklich ist, aber es
bleibt mir nichts anderes übrig. Und wirklich: In den nächsten 14 Tagen werden meine Eltern nicht mehr vom Telefon weichen. Sie melden sich gegenseitig ab, wenn einer mal raus muss. “Bleib du am Telefon!” In Papas
Auto liegt die Decke parat, um den Rücksitz abzudecken, damit er zügig durchstarten kann, wenn der erwartete Anruf kommt, der uns die Hunde zurückbringt.
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Und dann kommt ein Anruf!
Ein Mann hat die Hunde am vergangenen Samstagmorgen auf dem Lisdorfer Bann gesehen. Ja, die Hunde haben eine Plakette am Halsband gehabt, doch die Telefonnummer konnte er nicht sehen,
weil er sich nicht traute, die beiden anzufassen. Statt dessen hat er die Polizei angerufen, doch die hatten Besseres zu tun. Über eine Stunde hat er bei den Tieren verbracht, dann musste er weg.
Ich werde fast wahnsinnig, wenn ich daran denke, wie nah wir dran gewesen sind!
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Auf die Kinder wirkt die Nachricht wie elektrisierend. Sie wuseln durcheinander, satteln die Pferde und die ganze Karona bricht auf ins Gelände. Ich bringe es nicht übers Herz, ihren
Optimismus zu dämpfen, denn ich übersehe nicht, dass nun schon mehr als eine Woche vergangen ist, seit sie gesichtet worden sind.
Stunden später kehrt die Truppe zurück, heiser vom vielen Rufen und zutiefst niedergeschlagen.
*
Wider besseres Wissen fahre ich am nächsten Tag selbst zum Lisdorfer Bann, aber als ich das endlose Gelände sehe, wird mir schwarz vor Augen. Sie könnten überall sein. Es ist schlimmer
als die berühmte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Ich frage jeden, der mir über den Weg läuft, auch eine Frau mit einem schönen Schäferhund. Der Anblick zerreißt mir fast das Herz. Als ich meine Standardfrage stelle, verliert die Frau
fast die Fassung. Sie versichert mir, dass sie wohl weiß, wie mir zumute ist. Sie hat vor Jahren hier ebenfalls ihren Hund verloren. Sie hat nie erfahren, was aus ihm geworden ist. Da stehe ich nun auf dem Weg und
teile mit einer wildfremden Frau gemeinsamen Schmerz.
*
Wir wiederholen die Suchmeldung in der Zeitung, diesmal mit DM 700,00 Belohnung. Es sind nun schon 3 Wochen vergangen und der Verstand sagt einem, dass weiteres Suchen zwecklos ist, aber
so leicht lässt sich Hoffnung nicht abstellen.
Drei weitere Tage vergehen, dann kommt er, der alles entscheidene Anruf.
Eine diskrete Frage nach der Belohnung - ich bejahe. Dann der Satz: “Ihr braucht nicht weiter zu suchen, die Hunde sind erschossen!” Ich hake nach. “Wer?” Man ziert sich am anderen
Ende der Leitung, schließlich ist es einer aus dem direkten Umfeld des Mordschützen, aber ich stelle klar, dass die Belohnung an den Namen des Schützen gekoppelt ist, dass aber Diskretion selbstverständlich ist.
Dann erfahre ich den Namen: Alois S., Stammgast und Mitglied der Jäger, die in der Kneipe 100 Meter von unserem Stall entfernt ihr Hauptquartier haben.
Die Gefühle in diesem Augenblick zu beschreiben ist fast unmöglich. Da ist der stechende Schmerz der Gewissheit und die maßlose Trauer, die das Wissen um den unabänderlichen Verlust der
schönen Tiere begleiten. Da ist aber auch so etwas wie Erleichterung, fast eine Art der Erschöpfung, dass das endlose Grübeln vorbei ist: Was kann, was muss ich noch tun? Was habe ich übersehen? Da ist Staunen
darüber, wie perfekt Verdrängungsmechanismen funktionieren, wenn einfach nicht sein kann, was nicht sein darf. Wie konnte ich die nächstliegende Möglichkeit so konsequent beiseite schieben?
Und da ist die ungeheure Wut und die Verachtung für den feigen Schützen, der zwar aus sicherer Entfernung gefahrlos zwei Tiere abknallt und sie flugs im Wald verscharrt, aber nicht den
Schneid hat zu seiner Tat zu stehen.
Ich bin überzeugt davon , dass die wackere Waidbruderschaft nebenan unsere verzweifelte Suche per Rundfunk und Zeitung köstlich amüsiert hat. Die werden sich, glucksend vor Vergnügen auf
die Schenkel geschlagen haben, wissend, dass die beiden Hundekadaver schon irgendwo im Wald verwesten, während wir uns noch an Strohhalme klammerten.
*
Ein schwerer Gang steht mir noch bevor. Als ich meinen Eltern sage, dass die Suche nun vorbei ist, sitzt Mama nur still da. Abgeklärt durch die Krankheit ist sie zu Äußerungen
überschwänglicher Emotionen nicht fähig. Die Tränen fließen still die Wangen runter.
Papas innere Kämpfe stehen ihm im Gesicht geschrieben. Mühsam versucht er, den ungeheuren Schmerz in den Griff zu bekommen - vergeblich! Ich erinnere mich nicht, wann ich ihn das letzte
Mal habe weinen sehen.
Ich bekomme eine Idee, welchen Inhalt das Wort “Affekt” hat. Konfrontiert damit, wie die beiden alten Leute, die mir so nahe stehen, sinnlos leiden, halte ich es für möglich, dass ich,
obgleich erklärter Pazifist, dem Hundemörder eine Mistgabel in den Wanst rammen könnte.
*
Am nächsten Tag teile ich es auch den Kindern mit. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Auch hier dominiert wieder diese gespenstisch stille Trauer, mit der dir Tränen die Wangen
runter laufen. Einige haben schon Verlusterfahrungen mit Haustieren, aber immer waren Alter, Unfall oder Krankheit der Grund.
Der brutale, sinnlose Mord an ihren beiden übermütigen und lebenslustigen Spielkameraden traumatisiert vor allem die Jüngeren.
*
Nach Tagen der Lähmung wächst die Wut über den Hundemord und vor allem über das feige Vertuschen der Tat. Fritz und ich gehen in die Kneipe, aber der Jägerstammtisch findet ohne den
Meisterschützen statt. Auch in den nächsten Tagen treffen wir ihn nicht an.
Wir wissen wohl, dass wir S. nicht gesetzlich belangen können, aber wir wollen auf jeden Fall eine Aussprache darüber, warum er weder uns noch der Polizei Bescheid gesagt hat. Drei Wochen
der Suche und der qualvollen Unsicherheit wären uns erspart geblieben.
Ich bitte den Wirt ihm auszurichten, dass wir am kommenden Montag um 20.00 Uhr wiederkommen werden, doch als wir an diesem Tag pünktlich da sind, hat S. bereits eine Viertelstunde vorher
das Lokal verlassen. Wir denken uns unseren Teil und fordern ihn brieflich auf, uns einen Termin seiner Wahl zu nennen. Nichts passiert! Wir haben auch nichts anderes erwartet.
*
Jetzt, da S. weiß, dass wir wissen, wird offen am Tresen geprahlt. Gäste der Kneipe berichten mir, dass jeder, der es hören will, erfahren kann, wie weit ein Schäferhund durch die Luft
fliegt, wenn er eine Kugel fängt. Ein anderer erzählt, einer der Hunde habe sich unter das Auto verkrochen, wo ihn dann der finale Schuss ereilte.
Ich ziehe morgens meinen Unterricht in der Schule nur mit größten Schwierigkeiten durch. Vor meinem geistigen Auge sehe ich immer wieder, wie sich meine Hunde überschlagen, als sie die
Kugel trifft.
*
Am darauffolgenden Samstag sehe ich sein Auto vor der Kneipe. Meine Tochter geht hin um zu sehen, ob er wirklich da ist. Sie berichtet mir, dass im Lokal eine Gesellschaft ist mit
auswärtigen Gästen. Es ist offensichtlich nicht der ideale Zeitpunkt. Ich möchte dem Wirt, den ich bis dahin durchaus schätzte, nicht seine Gesellschaft verderben.
Eine Woche später sehe ich wieder das Auto. Es ist Abend, Fritz ist nicht da und ich will die Sache endlich hinter mich bringen. Als ich das Lokal betrete, sitzt der Meisterschütze im
Kreis seiner Jagdgesellen mitsamt den Ehefrauen in einer Geburtstagsrunde. Es ist offenbar wieder nicht der richtige Zeitpunkt, aber jetzt werde ich das Lokal nicht wieder verlassen. Ich warte, bis der Gang zu Ende
ist, dann gehe ich an den Tisch und stelle mich vor: “Mein Name ist Schreiner und Sie haben meine Hunde erschossen!”
Es steht ihm im Gesicht, dass es ihm furchtbar stinkt, dass es hier eine Frau wagt, ihn vor seinen Kumpels zur Rede zu stellen. Die Reaktion ist dementsprechend beachtlich:
“Jawoll! Und das hat mir richtig Spaß gemacht!” tönt es laut über den Tisch.
Na also! Da haben wir`s ja! Das sind doch mal klare Worte! Da ist endlich mal jemand, der sich nicht hinter dem dämlichen Schmonzes versteckt, dass die Jägerei nur Hegen und Pflegen ist.
Da bekennt sich doch jemand mal offen zu seinen brutalen Mordgelüsten!
Die Ballerbrüder am Tisch werden nun doch etwas nervös, dass S. ihr kleines Geheimnis so offen ausplaudert und zischen ihm zu, dass er doch den Mund halten soll. Doch S. ist nicht zu
halten. Mit hochrotem Gesicht wiederholt er nochmals lauthals, damit es auch jeder verstanden hat: “Das hat mir richtig Spaß gemacht!”
Und noch weiteres Aufschlussreiches ist zu erfahren. Ich sei “eine alte Sau” und eine “blöde Kuh”. Der Ausbruch amüsiert mich fast. Das hier hat nichts mehr mit mir zu tun. Da lässt einer
die Hosen runter und zeigt, wes Geistes Kind er ist.
Interessant ist vielmehr die Reaktion der Tischgenossen. Da fühlt sich niemand bemüßigt ein Wort der Entschuldigung vorzubringen. Auch die anwesenden Geschlechtsgenossinnen
zeigten keine Anzeichen von Distanz oder gar Empörung. Und auch der saubere Gastwirt hat nichts dagegen einzuwenden, dass eine Frau in seinem Lokal auf solche primitive Weise beleidigt wird.
Ich werde aufgefordert, den Tisch zu verlassen. Was für eine pikfeine Gesellschaft!
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Als ich spätabends meinem Mann den Vorfall erzähle, nimmt er es nicht so locker hin, dass seine Frau in aller Öffentlichkeit derart beschimpft wird. Er lässt S. durch einen seiner
Busenfreunde
ausrichten, dass es jetzt nicht mehr um die Hunde geht, sondern um seine Frau. Ich habe Angst, dass die Sache eskaliert, vor allem, weil der Alois-Kumpel ihn warnt, dass S. auch eine Handfeuerwaffe trägt. Ich will den gesetzlichen Weg einschlagen.
Beleidigungen sind ein Fall für den Schiedsmann. Der dafür zuständige Waldemar Martin sitzt dreimal in meinem Wintergarten und schwimmt in Betroffenheit über so viel Schlechtigkeit. Kein
Wort davon, dass er S. kennt. Doch am Abend der Verhandlung eröffnet er mir, dass er und der gute Alois schon seit 25 Jahren Duzfreunde sind. Bei so viel Unparteilichkeit fühlt man sich doch richtig gut aufgehoben.
Die Sache endet dann auch erwartungsgemäß ergebnislos.
Mein Anwalt macht mir für eine Klage vor Gericht auch nicht viel Hoffnung. Bei der derzeitigen Überlastung der Gerichte kann es Jahre dauern, bis eine Beleidigungsklage verhandelt wird.
Und bei der noblen Gesellschaft, die damals am Tisch saß, muss ich realistischerweise damit rechnen, dass alle in dem entscheidenden Moment einen kollektiven Hörsturz erlitten und nichts gehört haben. Und wer weiß,
auf welche Aussagen sich der eingeschworene Haufen noch einigen könnte.
Ich habe von der Anständigkeit dieser Leute seit dem bewussten Abend eine fundierte Meinung!
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Ich habe den Landesjägermeister Paul Maurer angeschrieben ( Brief im Anhang ) und ein paar Tage später ruft er bei mir an. Ich mache klar, dass wir uns unserer Mitverantwortung voll
bewusst sind, dass wir aber eine Genugtuung für das unanständige Vorgehen erwarten. Ich zitiere auch, dass S. mir ins Gesicht gesagt habe, dass ihm das Erschießen der Hunde “richtig Spaß” gemacht hat. Allein das
müsste schon ausreichen, dass eine Jägerschaft, die etwas auf sich hält, die Sache vor ein Ehrengericht bringt.
Der Landesjägermeister ist am Telefon die personifizierte Betroffenheit. Er will S. zur Stellungsnahme auffordern. Doch als ein paar Wochen später die Antwort kommt, ärgere ich mich
wirklich: In dem Schreiben wird aufgelistet, wo die Hunde überall gesehen worden sind (was impliziert: ergo haben sie den Tod verdient) und dass S. nicht gewusst habe, wem die Hunde gehören. Und dann die Krönung:
Hätte er es gewusst, hätte er natürlich uns oder der Polizei Bescheid gegeben! Mit freundlichen Grüßen und Waidmannsheil!
Das fasst man doch nicht, dass sich ein intelligenter Mensch solch eine hanebüchene Argumentation zu eigen macht! Gesetzt den Fall, S. hätte wirklich nicht gewusst, wo die Hunde
hingehören (was definitv auszuschließen ist), dann wäre es umso logischer gewesen, wenn er die Polizei informiert hätte.
Ich schreibe Maurer zurück, dass ich zur Kenntnis genommen habe, dass hier wohl keine Krähe der anderen das Auge aushackt und dass ich es bedauere, dass die Jägerschaft nicht die Kraft
zur Selbstreinigung besitzt.
Da sich die offizielle Jägerschaft nicht von dem Vorfall distanziert, mache ich in Zukunft auch keine Differenzierung mehr zwischen “guten” Jägern und “schwarzen Schafen”.
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Die “Saarbrücker Zeitung” hat einen Artikel über die diesjährige Jagdsaison veröffentlicht mit einem Bild, auf dem scharenweise erlegte Rehe fein säuberlich angeordnet nebeneinander
liegen. Dahinter die mit Tötungswerk hochzufriedenen, stolzen Waidmänner.
Ich verfasse einen Leserbrief (s. Anhang), in dem ich auch vom Schicksal meiner Hunde berichte. Ich bekomme etliche Anrufe, werde auch vielfach darauf angesprochen und immer wieder
schildere ich Details, nenne Namen.
Der Abscheu und die Empörung tun gut.
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Fritz wird zum Stammgast in der Jägerkneipe und eines Abends trifft er S. dann endlich im Kreis seiner Waidgesellen an. Dem fällt die Klappe runter, als er meinen Mann sieht. Zügig
verlässt er das Lokal, begleitet von 2 Bodyguards. Als der erste vorbeigeht, drängt Fritz sich dazwischen. Er ist jetzt auf gleicher Höhe mit S. Der, sich in Sicherheit wiegend wegen seiner beiden Begleiter, wagt
auch noch zu provozieren: Fritz solle ihm aus dem Weg gehen, sonst gehe es ihm so wie unseren Hunden und eine Hand greift in die Tasche.
Da brennen nun doch ein paar Sicherungen durch. Was eigentlich als Aussprache gedacht war, bekommt nun eine neue Dimension. Mein Mann, von seinem Naturell her die personifizierte
Gutmütigkeit, verpasst dem Kerl, der uns so viel Leid angetan hat, die Maulschelle seines Lebens. Obwohl die beiden anderen einzugreifen versuchen, kassiert S. noch eine zweite von gleicher Güte, die ihn sauber von
den Beinen holt.
Eine Woche Schnabeltasse ist angesagt!
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Die Kunde von der Tracht Prügel läuft wie ein Lauffeuer durch Altforweiler, nach Insiderberichten ist sie Gesprächsthema Nummer 1 auch bei den diversen Treibjagden. Wieder steht das
Telefon nicht still. Eine Welle der Genugtuung schwappt über die Affaire und ich registriere mit tiefer Befriedigung, dass es entschieden mehr Hundeliebhaber als Jäger gibt.
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S. hat Anzeige wegen Körperverletzung gestellt. Seine beiden Kumpels sind seine Zeugen. Sie schildern zwar lebhaft, wie Fritz zugeschlagen hat, die provozierenden Worte und den
bedrohlichen Griff in die Tasche haben sie selbstredend weder gehört noch gesehen. Man kann sich ja nun wirklich nicht an alles erinnern. Auch das haben wir nicht anders erwartet.
Ich will unseren Anwalt bitten, mir eine Kopie des ärztlichen Gutachtens zukommen zu lassen. Ich werde es mir vergrößern und ins Wohnzimmer hängen.
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Was nun kommt, soll kommen. Wir sehen der Sache mit Gelassenheit entgegen.
Und eine amüsante Nuance hat die Geschichte noch am Rande: Altforweilers Ehemänner müssen sich die Frage gefallen lassen: “Hättest du das für mich auch getan??”
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Die Hunde sind tot und ich werde mit meiner Mitverantwortung, nicht genügend auf sie geachtet zu haben, leben.
Der Mordschütze hat sowohl die Rückendeckung des Gesetzes als auch die der Jägerschaft. Trotzdem sträubt sich in jedem anständig Denkenden alles dagegen, dies als gerecht zu empfinden.
Aber was ist Gerechtigkeit? Die ultimative Gerechtigkeit wird es hier auf Erden ohnehin nicht geben. Da muss man noch etwas warten.
Aber in einem Punkt bin ich mir sicher: Wenn der wackere Waidgeselle irgendwann einmal in die ewigen Jagdgründe eingeht und an das große Tor klopft, dann werden meine Hunde zur Stelle
sein und ihn wegbeißen. Die lassen ihn nicht rein. Ich kenne meinen Dojan, auf den ist Verlass.
Es waren gute Hunde!
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